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Als die Deutschen fast einmal ihre Sprache verstaatlicht hätten

Anfang des vorigen Jahrhunderts hätte es fast einmal ein Reichssprachgesetz gegeben, der Gesetzentwurf war schon fertig. Mit Bußgeldern hätte die deutsche Sprache gegen Verstöße geschützt werden sollen. Man stelle sich vor: 25 Euro berappen für einen verbotenen Anglizismus oder ähnliches …

Wem gehört die deutsche Sprache? Kleiner Tipp: Das deutsche Volk ist es nicht! Auch der deutsche Staat hat keine Eigentumsrechte daran. Richtig: Die deutsche Sprache ist ein freies Gut, über das jeder Einzelne frei verfügen kann, solange er die Freiheit der anderen nicht unerlaubt einschränkt.

Jedenfalls ist es so, dass Sie jederzeit ungestraft zu Ihrem Bett Bild sagen können und zu Ihrem Tisch Teppich. Sie dürfen Majonäse schreiben oder Maionnaise oder auch maJoNäs. Sie dürfen die Kommata setzen, wo Sie wollen, alles groß schreiben oder klein – und keiner kann Ihnen was, selbst wenn Sie einfach mitten im Satz koreanische Schriftzeichen einfügen. Die Sprache ist eben frei! Der Duden gibt bloß Tipps und hat vom Staat keine Ordnungsrechte verliehen bekommen oder ähnliches.

In Deutschland hat es nie eine staatliche Behörde zur Verwaltung und Kontrolle der deutschen Sprache gegeben. Auch kein Sprachgesetz. Allerdings wäre es 1913 fast einmal so weit gekommen. In einem kleinen Teil ihres Buches „Gegenwartsdeutsch“ haben die beiden Germanisten Helmut Glück und Wolfgang Werner Sauer sich vor vielen Jahren einmal der Sprachverwaltung des Deutschen angenommen. Damals habe ein Reichssprachamt eingerichtet werden sollen, „das die Sprache durch Verordnungen hätte pflegen und durch Bußgelder vor den Sprechern schützen sollen.“ Zu einer parlamentarischen Beschlussfassung sei es aber nie gekommen. Irgendwo zwischen belustigend und gruselig stellen sich die Germanisten diese Sprachpolizei vor – „ausgestattet mit einem Block Strafzettel für falsches Sprechen“.

Aber was hätte das eigentlich konkret bedeutet? Einige aus dieser Zeit erhaltene Dokumente geben einen Einblick in die Gedankenwelt derer, die das Reichssprachamt seinerzeit wollten. Etwa Heinrich Claß, militanter Rechtsaußen und Demokratiefeind:

„Unser gesamtes Leben soll deutschen Anstrich tragen; deshalb sorge ein Reichssprachamt, wie es der Alldeutsche Verband auf den Vorschlag von Geheimrat Dr. Trautmann längst empfohlen hat, für die Reinigung und Reinhaltung unserer Sprache – wir sehen es jetzt, wie im geschäftlichen Leben das Unwesen fremdsprachiger Bezeichnungen als unwürdig empfunden und bekämpft wird; es muss von Reichs wegen dafür gesorgt werden, dass dies anhält und weiter ausgeführt wird.“ Im gleichen Text fordert Claß übrigens auch, dass „kein Farbiger sich mehr auf deutschem Boden zeigen“ solle.

Einer seiner Geistesbrüder, ein gewisser Dr. Karl Schneider, kommt in einem Aufsatz mit dem Titel „Brauchen wir ein Reichssprachamt?“ zu der Erkenntnis: „Der viel erhobene Einwand, daß eine Regelung der deutschen Sprache deshalb unmöglich sei, weil in der Sprache die Freiheit herrsche, muss nach dieser Überlegung als abgetan gelten.“

Konkret wünschte sich Schneider, dass endlich mehr Ordnung in die verworrene deutsche Sprache komme. Ein Beispiel: das Geschlecht der Wörter. Wie unordentlich das sei im Deutschen! Die Erkenntnis, das Bekenntnis – fortan sollten alle Wörter, die auf -nis enden, weiblich sein. Umgekehrt sollte die Behörde festlegen, dass alle Wörter, die auf -tum enden, sächlich zu sein haben: Irrtum, Reichtum, Wachstum, Christentum. Komischerweise fiel ihm hier nicht das Wort Deutschtum ein.

Immerhin: Selbst Schneider & Co. wollten die Sprachaufsicht ausschließlich auf Behörden angewendet wissen. Der Privatmann hätte weiter reden und schreiben können, wie es ihm gefällt. Jedenfalls nach den damals veröffentlichten Entwürfen. Erich Ohser, Carl von Ossietzky oder Kurt Tucholsky würden nicht geglaubt haben, dass diese Freiheit lange bestanden hätte.

Spätestens nach der Rechtschreibreform 1998 darf aber wohl der Gedanke, dass eine gelenkte Regelung der deutschen Sprache besser gelingt als ihre freie Entwicklung, schon aus ganz praktischer Erfahrung als abgetan gelten. ☺