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Den Aluhut hat immer der andere auf!

„Aluhut“ ist die beliebteste neue Beleidigung. Die Verwendungskurve des Wortes in der ersten Jahreshälfte sieht aus wie ein Stalagmit. Dabei ist der Begriff alles andere als fair oder weitblickend.

Aluhut-Träger oder kurz „Aluhüte“ sind angeblich Leute, die an Verschwörungstheorien glauben. Den Begriff hat wohl eine Kurzgeschichte von 1927 hervorgebracht, in der jemand glaubt, eine Kappe aus Metallfolie könne telepathische Einflüsse auf das Gehirn blockieren.

Inzwischen wird der Begriff massenweise gebraucht, um die Ideen anderer als verschwörungstheoretisch zu diskreditieren. Sie wissen schon: Bill Gates hat Corona erschaffen, um die Welt zu regieren. Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Bayern München hat die Schiedsrichter gekauft. Die Polizei hat die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Julian Assange nur erfunden. Volkswagen hat Abgaswerte manipuliert. Der Spiegel hat seine geilsten Reportagen komplett erfunden …

Aluhut-Träger sind genau so lange Aluhut-Träger, bis sich ihre Annahmen über die Wirklichkeit als wahrscheinlicher herausstellen als andere. Galileo Galilei war auch ein Aluhut, als er mit der komischen Idee um die Ecke bog, die Erde drehe sich um die Sonne! Bis vor einem Jahr wären alle in Deutschland, die mit Mundschutz in einen Supermarkt gegangen wären, als Aluhüte angesehen worden. Der Reporter, der seinem Kollegen Claas Relotius seine Storys madig machte, galt erst mal als neidisches Kollegenschwein. Forscher, die heute schon/noch vor hormonähnlichen Substanzen im Wasser warnen: Aluhüte! Eltern, die den übermäßigen Konsum von Computerspielen für schädlich halten: Aluhüte! Polizisten, die raten, jedes Fenster einbruchsicher zu machen: Aluhüte!

Kurzum: Es ist nicht sehr weitblickend und fair, den Begriff so auszudehnen, wie es derzeit gemacht wird. Auch deshalb nicht, weil es Ängste nicht ernst nimmt, sondern sich über sie lustig macht. Die einen stecken Aluhüte und Hakenkreuze in eine Schublade, weil sie die AfD fürchten. Die anderen machen sich über Leute lustig, die Angst vor Mobilfunkstrahlung haben. Viel besser wäre es, jeweils einzelne Punkte sauber auszudiskutieren. Aber natürlich ist das auch weniger lustig und viel anstrengender, als einfach „Aluhut“ zu rufen.

Eine Zeitlang war es auch sehr angesagt, alle peniblen Mülltrenner als „Gutmenschen“ zu diskreditieren. Aber was war noch mal schlecht daran, Gutes zu tun?

Immerhin: Eine gute Sache an der Corona-Zeit ist, dass mehr hinterfragt wird, mehr gezweifelt. Das muss in jede Richtung erlaubt sein, genau das ist die positive Kraft der Meinungsfreiheit. Ein kluger Kopf hat einmal gesagt: „Der Zweifel ist der Schmuck des Intellektuellen.“ Diesen Schmuck darf übrigens jeder tragen.

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