Zahlen wirken objektiv. Sind sie aber nicht. Die Recherche einer Kollegin zeigt, wie fragwürdige Statistiken sich zu medialen Wahrheiten entwickeln – und warum KI das Problem verschärfen wird.
Wenn sich die Zahl der Spielsüchtigen in Deutschland innerhalb von fünf Jahren versechsfacht hat, dann stimmt etwas nicht. Entweder an den Tatsachen – oder an den Zahlen. Die Redakteurin Kathi Preppner stellt dieses Beispiel ins Zentrum eines lesenswerten Artikels im Branchenmagazin „Journalist“. Sie zeigt darin, wie eine anders gewählte Umfragemethode die Zahlen im Glücksspielatlas Deutschland massiv verändert hat: von 200.000 auf 1,3 Millionen Betroffene. Viel schockierender aber ist, wie diese offenbar manipulierbaren Zahlen sich in der Öffentlichkeit ungeprüft verbreiten.
Falsche Zahlen auf 350 Websites – und keiner korrigiert sie
Dass dieser Fall nicht isoliert steht, sondern symptomatisch für den journalistischen (aber nicht nur diesen) Umgang mit Zahlen ist, demonstriert Preppner an einem noch drastischeren Beispiel: 385 Millionen Menschen sollen sich demnach jährlich mit Pestiziden vergiften, 11.000 sterben daran. Diese Zahlen stammen aus einer Schätzung von 2020, die der Wissenschaftsverlag Springer Nature später zurückzog – methodisch unhaltbar. Nachdem die Heinrich-Böll-Stiftung sie 2022 in ihrem Pestizidatlas zitierte, griffen viele Medien sie dennoch auf. Nun waren die Zahlen nicht mehr aus dem Netz zu kriegen. Preppner berichtet, dass sie weiterhin auf 350 Websites zu finden seien – von Tagesschau.de über die ZEIT bis zum Guardian. Mehr als zwei Dutzend Redaktionen seien angeschrieben worden, kaum jemand habe sich korrigiert. Und jetzt reproduzierten auch noch KI-Chatbots diese falschen Zahlen.
Die Lehre daraus: Das Zwei-Quellen-Prinzip ist tot
Früher lernten Journalisten, dass man keine Tatsache verbreitet, ohne mindestens zwei seriöse unabhängige Quellen nachweisen zu können. Das hilft längst nicht mehr, weil im Internet alle alles remixen – und KI künftig noch viel mehr und intransparenter. Eine skeptische Grundhaltung gegenüber Zahlen ist unabdingbar, auch bei seriösen Organisationen. Wichtig ist, die eigene Skepsis mitzutransportieren. Und manchmal, wenn Zahlen verdächtig erscheinen oder sich einfach nicht erhärten lassen, gilt der einfachste Rat: weglassen.

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